Lob-Hüdepohl: Kirche sollte Thesen zum Abstammungsrecht sorgfältig diskutieren
Der katholische Theologe Andreas Lob-Hüdepohl hält es für problematisch, wenn in dem Abschlussbericht des „Arbeitskreises Abstammung“ nicht nur die biologische Abstammung eine Rolle spielt, sondern diese auch über die soziale Verantwortung hergeleitet wird. Im Exklusiv-Interview unserer Zeitung lobt das Mitglied des Deutschen Ethikrats jedoch ausdrücklich, dass der Arbeitskreis mit dem Bericht das Kindeswohl stärkt.
Herr Professor Lob-Hüdepohl, Justizminister Heiko Maas erklärte bei der Veröffentlichung des Abschlussberichts zum Abstammungsrecht, dass sich „die soziale Wirklichkeit der Familienmodelle verändert und unser Recht mit diesem Veränderungsprozess Schritt halten“ müsse. Sehen auch Sie die Notwendigkeit einer Reform?
Die soziale Wirklichkeit von Familien verändert sich beständig – und das nicht erst seit gestern. Das Familienrecht hat die Aufgabe, die elementaren Rechte und Pflichten von Familienmitgliedern zu definieren. Damit wird ein verlässlicher Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die Beziehungen zum Wohl aller Familienmitglieder geschützt werden und gedeihen können. Die moderne Reproduktionsmedizin hat neue Formen von Elternschaft und Kindschaft kreiert. Darauf muss der Gesetzgeber reagieren. Wie, dazu hat der Arbeitskreis zum Abstammungsrecht 91 Thesen vorgelegt. Als Kirche sind wir gut beraten, diese Thesen sorgfältig zu diskutieren und uns entsprechend zu positionieren.
Aus katholischer Sicht besteht eine Familie aus zwei biologischen Elternteilen – Vater und Mutter – und eben dem Kind oder den Kindern. Wird dieses Modell nun bald ähnlich offiziell untergraben und beliebig gemacht, wie es gerade erst durch die „Ehe für alle“ mit dem Ehebegriff geschehen ist?
Dem Arbeitskreis geht es nicht um eine Neudefinition von Familie, sondern um eine Nachjustierung der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung. Im Übrigen ist – gerade auch aus katholischer Sicht – Familie deutlich mehr als das, was sich in den letzten ein, zwei Jahrhunderten als sogenannte bürgerliche Kleinfamilie herausgebildet hat. Im Zentrum der Diskussion steht meines Erachtens das Verhältnis von biologischer und sozialer Elternschaft. Hier zeichnen sich nicht unproblematische Akzentverschiebungen ab.
Kann man Abstammung tatsächlich von sozialer Verantwortung aus herleiten, wie es der Bericht tut?
Das wird man wohl kaum tun können. Aber wir müssen folgendes bedenken: Bislang ist die Elternschaft für gewöhnlich in der biologischen Abstammung des Kindes begründet – eben von der Mutter, die es gebiert, und vom Vater, der es mitgezeugt hat. In der Ehe ist es zunächst der Ehemann, dessen biologische Vaterschaft man bis zum Beweise des Gegenteils unterstellt, oder eben ein anderer männlicher Miterzeuger, der die Vaterschaft anerkennt. Natürlich kennen und schätzen wir seit langem auch außergewöhnliche Elternschaften, die nicht auf Abstammung beruhen, sondern auf der Übernahme von sozialer Verantwortung. Bestes Beispiel ist die Adoption: Die Adoptiveltern eines adoptierten Kindes sind im vollen Rechtssinn dessen Eltern, nachdem die biologischen Eltern auf ihre – wohlgemerkt rechtliche – Elternschaft verbindlich verzichtet haben. Ich gewinne aber den Eindruck, dass das Prinzip dieser außergewöhnlichen Elternschaft an die Stelle oder mindestens an die Seite der – wie ich es mal nennen will – gewöhnlichen Elternschaft treten soll, die eben auf einer biologischen Abstammung beruht. Deshalb empfiehlt der Arbeitskreis ja auch eine Änderung des Titels: Nicht mehr „Abstammungsrecht“, sondern „rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung“ soll es etwa im Bürgerlichen Gesetzbuch zukünftig heißen.
Wird durch solche Reformen nicht vor allem den Wünschen von potentiellen Eltern Rechnung getragen? Wo bleibt hier das Kindeswohl?
Dem Arbeitskreis geht es bei seinen Empfehlungen ausdrücklich um die Stärkung des Kindeswohls. Das ist sehr zu begrüßen. Ich frage mich aber, ob die Reformbedarfe nicht erst deshalb entstehen, weil bestimmte reproduktionsmedizinische Maßnahmen erst einmal Elternwünsche verwirklichen: Anonyme Samenspende, Eizellspende oder Leihmutterschaft sollen Wunscheltern glücklich machen. Das Wohl von Kindern kann ich dabei wirklich nicht entdecken. Natürlich kann uns die Situation von Kindern, die aus solchen reproduktionsmedizinischen Maßnahmen faktisch entstehen, niemals gleichgültig sein. Wir können ihnen keinesfalls eine verlässliche rechtliche Zuordnung zu Eltern verweigern, nur weil wir ihre Entstehungsbedingungen für moralisch hoch bedenklich halten. Dennoch wird am Ende der Reformdiskussionen sicherlich auch die Forderung nach Zulassung der bislang in Deutschland verbotenen reproduktionsmedizinischen Instrumente stehen, wenn man schon einmal die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung entsprechend vorbereitet hat. Einer solchen Zulassung müsste aber meines Erachtens grundsätzlich widersprochen werden.
Interview: Victoria Fels – Neue Bildpost – Ausgabe 28 vom 15./16. Juli 2017
(https://www.bildpost.de/content/download/1412/13794/version/2/file/NB_epaper_28_106718.pdf)