Die Kirchen übernehmen ›hochoffiziell‹ Verantwortung: »Wer die Würde und
das Recht von Menschen missachtet, wer andere Menschen hasst, verletzt oder
gar ermordet, der handelt gegen den Willen Gottes.« So urteilen gemeinsam der
Ratsvorsitzende der EKD und der Vorsitzende der DBK anlässlich der zentralen
Gedenkfeier für die Ermordeten des »Nationalsozialistischen Untergrunds« im
Frühjahr 2012. Und weiter: »Gemeinsam müssen wir Ausgrenzung und Hass
überwinden und zu Frieden befähigen. (…) Es geht darum, den Auftrag Jesu zur
Nächstenliebe umzusetzen. Gerade Menschen anderer Herkunft und anderen
Glaubens brauchen unsere besondere Fürsorge und unseren Einsatz.«
I.
Natürlich verwundert es niemand, dass Kirchen gegen jede Form von Hass und Gewalt ihre Stimme erheben – egal ob sie politisch rechts oder links motiviert ist, ob sie in häuslicher oder sexueller Gewalt gegen Schutzbefohlene ausartet oder in labilen Staaten zwischen verfeindeten Bürgerkriegsparteien einen brutalen Flächenbrand auslöst. Was macht die Widerstandspflicht von Christen gegen Rechtsextremismus in Deutschland so besonders?
Unter Rechtsextremismus werden gemeinhin solche Einstellungs- und Handlungsmuster verstanden, deren »verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen « (Brähler / Decker) sind. Politisch zeigt sich der Rechtsextremismus im Hang zu autoritären Regimen, in einem chauvinistisch-völkischen Überlegenheitsdünkel und damit in handgreiflicher Gewalt gegen alle, die scheinbar ›nicht dazugehören‹: Überfälle auf Ausländer, Lesben und Schwule, Behinderte, Obdachlose; Brandanschläge auf Synagogen und Asylbewerberunterkünfte; gezielte Mordanschläge auf türkisch- und griechischstämmige Ladenbesitzer.
Rechtsextremismus ist auch ein soziales Phänomen: antisemitische, fremdenfeindliche und sozial-darwinistische Einstellungen sind fruchtbarer Nährboden, auf dem die Bereitschaft zu handgreiflicher Gewalt gedeihen kann. Solche Einstellungen fallen nicht vom Himmel. Sie sind oftmals das Ergebnis tiefer Verunsicherungen von Menschen, die die Komplexität und Konflikthaftigkeit heutiger Gesellschaften hoffnungslos überfordert und sich ohnmächtig fühlen lässt; die sich benachteiligt fühlen und ihren sozialen Ab stieg fürchten; die deshalb allzu schnell in die geborgenheitsstiftende Identität eines Wir-Gefühls flüchten, das durch Abgrenzung und Machtdemonstrationen gegen wehrlose Andere seine Stärke sucht und so die Ohnmachtsgefühle der Beschämten, der Verunsicherten, der Ängstlichen kompensieren will.
Und darin liegt die besondere Gefahr des Rechtsextremismus: Er kann von einem Nährboden zehren, der bis weit in die Mitte der Gesellschaft reicht. Kundige Zeitdiagnosen sprechen von einer »Gesellschaft der Angst« (Bude), die nahezu alle Bevölkerungsgruppen erfasst hat oder zumindest erfassen kann. Es ist die beunruhigende Angst, jederzeit ins gesellschaftliche Aus abrutschen zu können und aller bergenden Sicherheiten verlustig zu gehen. Diese Angst in der Gegenwart vor der Zukunft ist paradoxerweise Preis unserer Freiheit. Freiheit setzt ja voraus, dass nicht schon alles fest geordnet, vereinfacht und gesichert ist. Die Verlockung ist groß, durch klare Ansagen, eindeutige Weltbilder, homogene Gruppen den Zumutungen solcher Freiheiten zu entgehen.
II.
Das Prinzip der Fundamentalgleichheit aller Menschen abzulehnen verstößt nicht nur gegen die Fundamentalnorm unseres Grundgesetzes »Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Die Ablehnung verstößt zugleich gegen dessen geistesgeschichtliche Wurzeln. Sie verstößt gegen die absolute Gleichheit all derer, die nach Auskunft der jüdischchristlichen Tradition als Ebenbilder Gottes in ihrer Schöpfung Ihm ähnlich sind, nämlich alle Menschen, alle Frauen und Männer, alle Kinder und Greise, alle Leistungsfähigen und Leistungsgebrochenen usw. Jeder Mensch ist gleichwertig: »Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr seid ›einer‹ in Christus Jesus!«, schreibt Paulus schon den ersten Christen ins Stammbuch. Natürlich gibt es nach wie vor vielfältige Unterschiede zwischen Menschen wie es nach wie vor noch Juden und Christen oder Männer und Frauen gibt. Der Regenbogen der Menschheitsfamilie ist und bleibt bunt. Nur gibt es keinerlei Berechtigungen mehr, die Menschheitsfamilie in mehrwertig undminderwertig einzuteilen und das Minderwertige auszumerzen – womöglich sogar zur vermeintlichen Ehre des biblischen Gottes!
Dass Paulus so vehement dieses Diktum seinen Gemeinden einzuschärfen sich müht, offenbart: Auch die frühen Christen waren keinesfalls vor Selbstüberhöhungen und chauvinistischen Anwandlungen gefeit. Das hat sich bedauerlicherweise bis heute erhalten. Zu keiner Zeit gab es einen Automatismus zwischen gebotener christlicher Einstellung und entsprechendem Handeln. Wie die Geschichte des Christentums belegt, gewannen antiegalitäre Ten – denzen immer wieder die Oberhand und verbreiteten furchtbare Schrecken. Mitunter wurden sie sogar theologisch überhöht, wie man etwa in der Sklavenfrage bei Thomas von Aquin oder in der Behindertenfrage bei Martin Luther und bei manchen katholischen Bischöfen während der NS-Zeit studieren kann. Deshalb verwundert es nicht, dass rechtsextremes Gedankengut auch bei denen fruchten kann, die sich selbst zu den überzeugten Christen zählen. Denn auch Christen sind nicht vor jenen tiefgreifenden Ängsten und Verunsicherungen geschützt, die sie den Versuchungen von Fundamentalismen und anderen Extremen aushändigen und alles Fremde als Sündenböcke ans Kreuz schlagen lassen.
Christlicher Widerstand gegen Rechtsextremismus beginnt deshalb bei den Christen selbst. Empirische Studien belegen eine besondere Anfälligkeit von Christen für rechtsextremistische Versuchungen. Diese bestürzende Erkenntnis erhärtet die Vermutung, dass rechtsextremistische Einstellungsmuster vergleichsweise unproblematisch an eingewöhnte religiöse Lebensmuster anschließen können – besonders im Spektrum evangelikaler oder römischkatholischer Christen, die sich bis heute gegen die tiefgreifenden Reformen ihrer Kirche seit dem letzten Konzil sperren und eine Erneuerung blockieren. Alle diese Christen neigen zu einem ängstlichen Weltbild, zum Streben nach klarer Ordnung und einfacher Wahrheit oder zu blinder Autoritäts – fixierung. Christen und Kirchen müssen sich deshalb zuerst fragen (lassen), welche Bilder sie von Anderen zeichnen, ob sie auf Augenhöhe mit Anderen sprechen. Sie müssen sich fragen (lassen), wie sie in ihren eigenen Reihen ›gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten‹ (Heitmeyer) thematisieren; wie sie eigene Vorurteilsstrukturen und Hierarchisierungen reflektieren; und vor allem: wie sie sich selbst befähigen, den fundamentalistischen und verab – solu tierenden Versuchungen ihrer eigenen Traditionen und Gewohnheiten zu widerstehen.
III.
Natürlich kennt die christliche Widerstandspflicht auch eine politische Seite. Christen sind Teil der gesellschaftlichen »Großbewegung zur Verteidigung menschlicher Würde« (Johannes Paul II.). In unserem demokratischen Verfassungsstaat gibt eine breite Palette von Formen der Verteidigung menschlicher Würde und damit des Widerstands gegen Rechtsextremismus.Sie reichen von der Unterstützung polizeilicher und staatsrechtlicher Mittel über die unterschiedlichsten Instrumente politischer Aufklärung wie der Entängstigung Verunsicherter bis hin zu jenen symbolischen Aktionen der Sitzblockaden gegen rechte Demonstrationen usw., die als Formen zivilen Ungehorsams bezeichnet werden. Ungehorsam sind Zivilisten dann, wenn sie bewusst gegen rechtmäßige Entscheidungen der staatlichen Gewalt verstoßen (z.B. eine genehmigte Demonstration verhindern). Moralisch legitim ist dieser Ungehorsam dann, wenn er öffentlich und gewaltlos auf Fälle schwerwiegender Ungerechtigkeit aufmerksam machen und so gegen sie vorgehen will. Ziviler Ungehorsam muss in der politischen Auseinandersetzung immer letztes Mittel sein. Denn er will nie das demokratische Gemeinwesen schwächen, sondern stärken, und das geht keinesfalls durch leichtfertiges Übertreten staatlicher Entscheidungen und Regelungen. Und er muss mit der Bereitschaft der zivil Ungehorsamen verbunden sein, im Fall der Fälle für die rechtlichen Konsequenzen einzustehen – also gegebenenfalls Bußgelder zu bezahlen, mit denen der Staat sich das Wegtragen sitzender Blockierer bezahlen lässt. Gerade diese Bereitschaft, so unerfreulich und schmerzhaft sie für den Ungehorsamen sein mag, dokumentiert dessen zutiefst gewissenhaftes Motiv.
Christen stehen in dieser Widerstandsform gegen Rechtsextremismus durchaus in einem Dilemma. Zu Recht kann und muss jeder Staat um eines friedvollen Zusammenlebens willen von allen Bürgern Loyalität zu seinen Entscheidungen und Regelungen verlangen. Auch das wusste schon Paulus: »Jeder leiste der staatlichen Gewalt den geschuldeten Gehorsam« (Röm 13,1). Zugleich kennt die christliche Tradition immer schon das entscheidende Korrektiv: Jede Loyalität besitzt dort ihre Grenze, wo elementare Grundsätze von Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit verletzt werden. Hier darf, ja muss widerstanden werden. Denn nur so kann in Grenzfällen jener Einsicht gefolgt werden, die weit über das Christentum hinaus mit der Akzeptanz all derer rechnen kann, die um die grundsätzliche Fehlbarkeit allen menschlichen Handelns wissen: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Apg 5,29).
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